Customer
Northrop Grumman
Headquarters
Falls Church, Virginia, USA
Industry
Aerospace and Defense
Employees
95,000
Eines der bekanntesten Raketentriebwerke der Ingenieursgeschichte wäre beinahe nicht vom Fleck gekommen. Die Entwickler des Raketentriebwerks für die Apollo Saturn V F-1 standen ratlos vor dem Problem, dass ihre Triebwerke auf dem Prüfstand explodierten. Erst als das Team mit einem neuen Ansatz – einer neuen Denkweise – das Standarddesign der Kraftstoffeinspritzanlage überarbeitete, wurde erfolgreich eine stabile Verbrennung erzielt, mit der die Menschheit schließlich den Mond erreichen konnte.
Sechzig Jahre später verfolgt ein anderer Entwickler von Raketentriebwerken – Northrop Grumman – einen ähnlichen Ansatz zur Überwindung problematischer Hindernisse in der Produktion. Diesmal liegt das Problem an den langen Vorlaufzeiten innerhalb der Werkzeuglieferkette, die sich in erheblichem Maße negativ auf die Entwicklung neuer Raketentriebwerke auswirken. Statt sich jedoch einfach mit der Tatsache abzufinden, schlug das Team von Northrop Grumman einen neuen Weg ein und ersetzte mithilfe von additiver Fertigung die Metallwerkzeuge, durch die es zu den Verzögerungen bei der Neuentwicklung gekommen ist. Daraus ergab sich eine drastische Beschleunigung des Werkzeugbaus, dank derer innerhalb von knapp einem Jahr ein neues Raketentriebwerk entwickelt werden konnte.
Northrop Grumman Propulsion Systems blickt auf eine lange Geschichte in der Entwicklung von Feststoffraketentriebwerken zurück. Seit mehr als 60 Jahren verleiht es Raketen für militärische, zivile und kommerzielle Zwecke die erforderliche Schubkraft. Das Team von Northrop Grumman lieferte seinerzeit sogar die Raketentriebwerke für die Apollo-Missionen für die Mondlandung. Für einen so großen Erfolg bedarf es Innovationen und einer robusten Lieferkette. Nur so können die technischen, ökonomischen und zeitlichen Herausforderungen gemeistert werden, die jede Produktentwicklungsplanung mit sich bringt. Doch Lieferketten sind eine sensible Angelegenheit. Die COVID-Pandemie machte das zwar besonders deutlich, doch sie ist bei weitem nicht die einzige Ursache. Politische Spannungen, Handelskriege und ähnliche geopolitische Herausforderungen stellen eine stetige Bedrohung für die Lieferkettenstabilität dar und verdeutlichen den Sinn und Zweck von On- oder Nearshoring-Strategien. Es gibt einen wunden Punkt bei der Entwicklung von Raketentriebwerken: die Beschaffung neuer Werkzeuge, mit denen der Feststofftreibstoff im Triebwerkgehäuse so geformt werden kann, dass die Ziele der Mission erreicht werden können. Bei Northrop Grumman verursachen die oben erwähnten Umstände in der Lieferkette bei einigen Projekten gegebenenfalls zu einer Verlängerung Vorlaufzeiten im Werkzeugbau von über einem Jahr.
Chase Smaellie kennt als Ingenieur für Werkzeugbau bei Northrop Grumman nur allzu gut die Verzögerungen, die durch Probleme bei der Beschaffung entstehen und sich auf die Projektplanung auswirken: „Während der COVID-19-Pandemie schlossen viele Lieferanten ihre Türen, und es war und ist noch immer ein Kampf, an großformatige Schmiedeeisen-, Spritzguss- und Schweißbauteile zu kommen.“ „Es dauert viel zu lange, einige der größeren Werkzeuge in das Unternehmen zu holen.“
Die Folgen der Lieferkettenprobleme beschränken sich nicht nur auf zeitliche Verzögerungen. Jeder Hersteller weiß, dass Produktionspausen eine spätere Markteinführung des Produkts nach sich ziehen. In einer wettbewerbsintensiven Branche kommt es dadurch letztlich zu verlorenen Geschäftschancen. Verfahrensverzögerungen behindern eine schnelle Reaktion auf veränderte Marktbedingungen, neue Kundenanforderungen oder aufkommende Trends. Sie wirken sich auch negativ auf die Lieferfristen aus, verursachen enttäuschte Kundenerwartungen, untergraben die Zuverlässigkeit des Unternehmens und führen zu Umsatzeinbußen.
Zur Umgehung solcher Schwierigkeiten wählte Northrop Grumman einen innovativen Ansatz. Das Unternehmen entwickelte kurzfristig das Programm Solid Motor Annual Rocket Technology Demonstrator, auch SMART Demo genannt. Es handelt sich um ein Jahresprogramm für die Förderung der Entwicklung von Raketentriebwerken in den Bereichen Werkzeugbau, Material und Design. Dabei geht es um die Erfüllung branchen- und kundenspezifischer Anforderungen und die Bewältigung der Herausforderungen des Verfahrens.
Ein Aspekt von 2023 SMART Demo brachte das Problem der langen Vorlaufzeiten im Werkzeugbau auf den Punkt. Anstelle der herkömmlichen Metallwerkzeuge zum Gießen des Raketenkraftstoffes beschleunigte Northrop Grumman mit der hauseigenen FDM®-Technologie für additive Fertigung von Stratasys das Verfahren und erstellte die komplex geformten Werkzeuge in 3D-Druck. Dadurch kam ein Formwerkzeug zustande, das in einem Bruchteil der für die Beschaffung von Metallwerkzeugen erforderlichen Zeit fertiggestellt wurde. Smaellie hebt den Nutzen der additiven Fertigung im Vergleich zu traditionell gefertigtem Material hervor: „Es ist von grundlegender Notwendigkeit.“ Die unternehmensinterne Fertigung in großem Maßstab ist ein Vorteil. Wir verkürzen so die Fertigungszeit von einem Jahr auf sechs Wochen.
Abgesehen von der Bewährung der additiven Fertigung als Lösung bei Lieferkettenproblemen wird jedoch im Rahmen der 2023 SMART Demo die Bedeutung der Polymertechnologie als Metallersatz deutlich. Der Treibstoff für Raketentriebwerke wird bei Hochtemperaturen geformt. Aus diesem Grund müssen alle zum Formen des Treibstoffs eingesetzten Polymermaterialien aus additiver Fertigung solchen Bedingungen standhalten. Anhand der erfolgreichen Ergebnisse – insbesondere bei der Beschleunigung des Werkzeugbaus – bestätigte die das Programm 2023 SMART Demo den Ansatz, Polymer als Metallersatz zu nutzen. Den Ergebnissen zufolge ist durch die additive Technologie eine Verkürzung der Vorlaufzeiten und eine schnellere Herstellung neuer Feststoffraketentriebwerke zu erwarten.
Über mehrere Jahrzehnte hinweg wurde die additive Fertigung als Technologie für schnellere, kostengünstigere Herstellung von Vorrichtungen, Lehren und sonstigen herkömmlichen Fertigungswerkzeugen genutzt, die normalerweise aus Metall bestanden. Doch für einige Hersteller kommt der Einsatz von Polymeren anstelle von Metall, insbesondere bei anspruchsvolleren Werkzeuganwendungen, gar nicht in Frage. Das liegt in der Regel an den fehlenden Kenntnissen zum Potenzial von additiver Fertigung mit Polymeren. Northrop Grumman ging jedoch einen anderen Weg und zeigte sich zuversichtlich beim Einsatz der additiven Technologie mit Polymeren als effektive Alternative zu Metall, insbesondere bei der Bemühung um schnelle Entwicklung.
Für die SMART-Demo 2023 des Unternehmens war eine wesentliche Voraussetzung für den Einsatz von Additiven die Suche nach Materialien mit geeigneten Anwendungseigenschaften. Die Werkzeuge für Raketentriebwerke müssen mit Treibstoff und den Reinigungsmitteln kompatibel sein. Außerdem müssen sie elektrisch geerdet sein, um statische Aufladung und unbeabsichtigte Entladungen zu verhindern, die zu einer katastrophalen Entzündung des Treibstoffs führen könnten.
Als Materialien für additive Fertigung, die solche Anforderungen erfüllen, wurden der gegen elektrostatische Entladungen gesicherte ABS-Kunststoff ABS-ESD7™ und das hochfeste Polymer Antero® 840CN03 auf PEKK-Basis gewählt. Letzteres weist neben den Eigenschaften bezüglich der elektrostatischen Entladung auch eine ausgezeichnete Beständigkeit gegen Chemikalien auf. „Wir haben uns für Antero entschieden. Unsere Wahl fiel auf Antero, da uns die mechanischen Eigenschaften und die Lösungsmittelbeständigkeit überzeugen. Wir reinigen die Kerne und Werkzeuge mit Lösungsmitteln. (Antero) hält das aus“, berichtet Smaellie.
Die elektrostatischen Eigenschaften von Antero boten einen weiteren wichtigen Vorteil. „Bei vielen unserer Verfahren geht es um die Vermeidung von Funken, die entweder durch den Kontakt zwischen Metallen oder durch Probleme der Leitfähigkeit von Isolatoren entstehen“, sagt Smaellie. „Unsere internen Sicherheitsunterlagen halten uns dazu an, nach funkenfreien, leitfähigen Materialien zu suchen. Und Antero erfüllt diese Anforderung. Die Materialeigenschaften waren aus Sicherheitsgründen interessant“, fügt Smaellie hinzu.
Ein weiteres Problem der Ingenieure von Northrop Grumman war die Größe der Werkzeuge. Der Kern des Raketentriebwerks ist im Aufbau etwa 3 Meter lang. Das Formwerkzeugs für den Kern musste es in mehreren großen Teilen gedruckt werden. Somit war ein 3D-Drucker mit ausreichendem Bauvolumen für den Druck der verschiedenen großen Abschnitte erforderlich. Letztendlich druckte Northrop Grumman den Kern in vier Teilen mit den unternehmenseigenen Druckern F900 von Stratasys. Laut Smaellie hatte die F900 unter anderem das „große Bauvolumen und die Präzision“ zum Vorteil. Auch die Zuverlässigkeit beim Drucken wurde berücksichtigt, da das Drucken der einzelnen Abschnitte recht viel Zeit in Anspruch nahm.
Auch die Gewichtsreduzierung im Vergleich zu herkömmlichen Metallwerkzeugen stelle einen Vorteil des Druckens dar. Der Druck mit einer kundenspezifischen Füllung (einer nicht massiven, wabenartigen Innenstruktur) sorgte für die notwendige statische Festigkeit bei gleichzeitiger Gewichtsreduzierung. Dank der Konstruktionsfreiheit des 3D-Drucks konnten zudem Spannvorrichtungen eingelassen werden, die zu einer leichteren Nachbearbeitung der Passflächen am Kernstück dienten.
Fachkräfte der additiven Fertigung können aus der 2023 SMART Demo von Northrop Grumman mindestens eine Erkenntnis mitnehmen: Beim Werkzeugbau mit additiver Fertigung aus Polymeren sind die Grenzen noch lang nicht ausgereizt und eine Anwendung lässt sich entsprechend gut amortisieren. Obwohl das Material Antero mit seinen elektrostatischen Eigenschaften ursprünglich für Raumfahrzeugteile entwickelt wurde, erkannten Chase Smaellie und das Team von Northrop Grumman sein Potenzial für die Anwendung im Werkzeugbau. Daraus ergab sich eine drastisch verkürzte Vorlaufzeit, mit der sich ein neues Raketentriebwerk in einem viel kürzeren Zeitrahmen produziert werden konnte. Dieser „unkonventionelle“ Ansatz zahlt sich auch in weiterem Sinne aus, da er dem Team Kenntnisse vermittelt, mit denen es in den SMART Demos der nachfolgenden Jahre weitere Erfolge erzielen kann.
Die Möglichkeit, Metall durch Polymer zu ersetzen, richtet sich natürlich nach den statischen Anforderungen des jeweiligen Teils. Das Angebot an Materialien aus Hochleistungspolymeren eröffnet jedoch neue Möglichkeiten, mit denen das teurere, zeitaufwendigere NC-Formfräsen für die Metallbearbeitung umgangen werden kann. „Beim Ersatz von großen geschmiedeten Bauteilen und komplexen fünfachsigen Maschinenteile durch Antero läuft der 3D-Druck erst so richtig zur Höchstform auf“, sagt Smaellie. „Wir sehen das jetzt bei anderen Komponenten, die wir mit Antero herstellen, und auch bei zukünftigen Kernen. Und das ist genau der Punkt, an dem allmählich die unmittelbaren Einsparungen bei solchen Teilen in Dollar und Cent ersichtlich werden, die zur Geschwindigkeit und dem langfristigen Nutzen noch hinzukommen“, fügt er hinzu.
Es gibt kein Patentrezept zur Lösung aller Probleme, die in einer komplexen Lieferkette auftreten können. Die Lösungen sind gegebenenfalls so vielfältig wie die Ursachen selbst. Die additive Fertigung hat jedoch unter Beweis gestellt, dass mit ihr die Verzögerung der Vorlaufzeiten erheblich eingedämmt werden kann – insbesondere beim Werkzeugbau. Erhältliche Hochleistungs- und Spezialpolymere wie Antero machen so einzigartige Anwendungen im Werkzeugbau möglich.
Letztendlich geht es aber allem voran um die Geschäftschancen, die sich uns dank der additiven Technologie eröffnen. Chase Smaellie hebt die Vorteile der kürzeren Entwicklungszyklen der additiven Fertigung hervor: „In Bezug auf die Lieferzeiten und die Bezahlung aus Kundensicht ist die Auswirkung der Einhaltung der Fristen und Verbindlichkeiten auf unser Geschäft enorm.“ Weiter sagt er: „Dabei geht es um das Geld, das wir aufgrund der Einhaltung der Fristen und der Beschleunigung durch neue Verfahren zurückgewinnen. Allein die Tatsache, dass wir für das Projekt SMART Demo innerhalb eines Jahres ein Triebwerk gebaut und gezündet haben, hat unserem Unternehmen neue Türen geöffnet.“